Sonntag, 29. Oktober 2017

Das Rätsel der „Reformation“ ( II./4-7 )

Worum ging es in der Reformation wirklich?
– 4.-7. –

4. Sakramente
Von den sieben Sakramenten der Kirche wurde die Taufe ungeschmälert beibehalten. Alle anderen Sakramente wurden von den Reformatoren beeinträchtigt oder ganz abgeschafft.
Besonders auffällig ist, daß das Sakrament, das im Neuen Testament als einziges ausdrücklich als «mystérion – sacramentum» bezeichnet wird (Eph. 5, 32), die Ehe, Luther «ein äußerlich, weltlich Ding» nennt (Von Ehesachen, 1530). Christus dagegen sieht in ihr Gottes Handeln: «Was also Gott verbunden hat, das trenne der Mensch nicht!» (Matth. 19, 6 = Marc. 10, 9).
Besonders verhängnisvoll war die Abschaffung des Weihesakraments, der Bischofs- und Priesterweihe, weil so die übrigen Sakramente außer der Taufe und der Eheschließung nicht mehr wirksam gespendet werden konnten. Nun gehört die durch Handauflegung gespendete Weihe zu den Grundlehren des Glaubens, die dem Hebräerbrief (Hebr. 6, 1. 2) zufolge vorausgesetzt werden können und daher nicht im Brief behandelt zu werden brauchen. Allerdings wird dieses Sakrament an anderen Stellen des neuen Testaments durchaus erwähnt (Apg. 6, 5. 6; I. Tim. 5, 22; II. Tim. 1, 6; Tit. 1, 5).
In der Apostelgeschichte wird Simon Magus gerügt, nicht weil seine Sicht nicht richtig wäre, daß die Apostel die Vollmacht, das Sakrament des Heiligen Geistes, die Firmung, zu spenden, innehaben (Apg. 8, 14-17!) und weitergeben können, sondern weil er diese Vollmacht mit Geld erkaufen will (8, 18-23).
Die Eucharistie wird formal als „Abendmahl“ beibehalten, doch wird sie in dreierlei Weise gemindert:
(1.) kann sie mangels geweihter Priester nicht mehr wirksam vollzogen werden.
(2.) wird ihr Wesen geleugnet: ihr Opfercharakter, also die Gegenwärtigmachung des Kreuzesopfers.
Schon in der Didaché, die vielleicht schon aus apostolischer Zeit stammt, sicher aber aus dem I. Jahrhundert, wird die Eucharistie ausdrücklich «thysía», Opfer genannt (14, 1. 2). Etwas beiläufig findet sich diese Benennung aber auch im Hebräerbrief: «Wir haben einen Altar, von dem zu essen die kein Recht haben, die ...» (13, 10, Elberfelder Übers.) – «Altar» steht hier als Übersetzung für «thysiastérion», das wörtlich «Opferstelle» bedeutet.
(3.) wird zwar nicht von Luther, ansatzweise von Melanchthon, entschieden aber von Zwingli und Calvin die wirkliche Gegenwart Christi in den gewandelten Gestalten geleugnet – in klarem Gegensatz zu den Formulierungen der vier neutestamentlichen Abendmahlsberichte und auch zur eucharistischen Rede Jesu im Johannes-Evangelium (v.a. 6, 51. 53-58).
Sachlich freilich ist fürs protestantische Abendmahl Zwingli und Calvin Recht zu geben: bei einer protestantischen Abendmahlsfeier ohne Priester ist wirklich der Herr nicht in Brot und Wein gegenwärtig.

5. Kirchliches Amt
Mit dem Weihesakrament geht auch das dadurch begründete Amt verloren und damit die durch dieses Amt geordnete Kirche. Darum schwindet auch das kirchliche Lehramt, es tritt zurück gegenüber der freien Schriftauslegung eines jeden Theologen und letztlich eines jeden einzelnen, ein reicher Nährboden für die Schaffung immer neuer Denominationen.
Im Neuen Testament aber steht:«.. im Haus Gottes ..., welches die Kirche des lebendigen Gottes ist, Säule und Fundament der Wahrheit» (I. Tim. 3, 15, Einheitsübers.).

6. Ordens- und Zölibatsgelübde
Ordens- und Zölibatsgelübde wurden von den Reformatoren abgetan; der Ordenspriester Luther heiratete eine Ordensfrau. Es ging nicht um die Frage, ob diese Gelübde aus Motiven heraus abgelegt worden waren, die dem Sinn des Ordens nicht entsprachen, von denen zu entbinden angemessen wäre – die Gelübde wurden als belanglos betrachtet.
Ganz anders im Neuen Testament: Paulus ordnet im Blick auf die eingetragenen Witwen (die „kanonischen Witwen“ wird man später sagen) an, daß sie mindestens sechzig Jahre alt sein müssen, sonst sind sie abzuweisen (I. Tim. 5, 9. 11-12); denn Jüngere könnten sonst, von Lüsten getrieben (es handelt sich ja um Frauen, deren Berufung nicht eigentlich die Ehelosigkeit ist), die erste Treue brechen und sich so das Gericht zuziehen. «Die erste Treue», «tèn próten pístin» – das meint offenbar das Enthaltsamkeitsgelübde der eingetragenen Witwen; und so übersetzen auch viele protestantische Übersetzungen hier «pístin» mit «Versprechen» (Neue Genfer, Neues Leben) «Treuegelöbnis» (Menge) oder einfach «Gelöbnis» (Elberfelder). Wer also das Enthaltsamkeitsgelübde bricht, zieht sich das «kríma» zu, das Gericht, die Verurteilung.
Damit verbunden mißt die Reformation überhaupt der Ehelosigkeit, dem enthaltsamen Leben praktisch keinen Wert mehr bei (wirklich Bedeutung bekam sie im protestantischen Raum erst mit den Diakonissenschaften seit dem XIX. Jahrhundert). Gaz anders wieder das Neue Testament: Jesus selber spricht von «Eunuchen, die sich selbst verschnitten haben um des Himmelreiches willen. Wer es fassen kann, der fasse es» (Matth. 19, 12) – die Kirche hat immer gewußt (trotz Origenes), daß das nicht körperliche Kastration meint, sondern geistige Beschneidung durch Enthaltsamkeit. Und Paulus preist ausführlich die Ehelosigkeit als gute und wünschenswerte Lebensform für Christen (I. Cor. 7, 1. 7-8), stellt ausführlich ihre Vorzüge dar (I. Cor. 7, 32-34).

7. Heiligen- und Reliquienverehrung
Besonderen Anstoß nahmen die Reformatoren an der Heiligenverehrung und vor allem an der Anrufung der Heiligen. Luther war hier weniger strikt als die anderen Führer der Reformation; nichtsdestoweniger setzte sich auch in Wittenberg die ablehnende Haltung durch.
Im Neuen Testament ist die Heiligenverehrung noch kein wirkliches Thema – die meisten der ersten christlichen Heiligen leben ja noch. Doch die Marienverehrung ist bereits angesagt: «Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter» singt Maria selber im Magnificat (Luc. 1, 48).
Andere Christen um Fürbitte zu bitten, wie Paulus das des öfteren tut (Rom. 15, 30; Col. 4, 3; I. Thess. 5, 25; II. Thess. 3, 1; Hebr. 13, 18), war im Neuen Testament üblich und wird auch von den Reformatoren nicht bemängelt. Was bemängelt wird, ist, verstorbene Heilige anzurufen. Doch damit wird der Tod in einer Weise als Grenze gesetzt, die dem Evangelium nicht entspricht: «Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist» (Joh. 11, 25).
Angegriffen wurde die Reliquienverehrung, und keineswegs nur der kommerziell-heilstechnische Umgang mit Reliquien, der in der Tat zu beanstanden war. Doch schon im Neuen Testament erscheinen Kleidungsstücke des Paulus, Reliquien also, als Heilmittel: «so daß man sogar Schweißtücher oder Schurze von seinem Leib weg auf die Kranken legte und die Krankheiten von ihnen wichen und die bösen Geister ausfuhren» (Apg. 19, [11-] 12, Elberfelder Übers.)
Besonders scharf abgelehnt haben die Reformatoren – nicht Luther, aber um so heftiger Karlstadt, Zwingli und Calvin – die Bilderverehrung. Hier liegt die Sache anders: im Alten Testament ist eine scheinbare Begründung dieser Ablehnung zu finden; es bedarf der Argumente des letzten großen Kirchenvaters, Johannes Damascenus, und des II. Nicaenum, die Legitimität der Bilderverehrung aufzuzeigen.

Doch zumindest von diesem Punkt abgesehen entstammt keines der Anliegen der Reformation der Heiligen Schrift. Und die Reformatoren begaben sich damit in Gegensatz zu allen Kirchen apostolischen Ursprungs, zu den Kirchen des Orients wie des Okzidents.
Was also bewegte die Reformatoren, was veranlaßte sie zu solcher „Reformation“?

– I. Teil –
– II. Teil / 1.-3. –

– III. Teil –

______________________________________________________________________

Verschiedene Bibelübersetzungen sind zu finden in:
BibleServer

Einige Texte finden sich zweisprachig in:
Biblischer Wegweiser zur Diskussion mit Zeugen J”s

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.